Uketori 

 

Früh ist mir klar geworden, dass die Arbeit des Uke viel komplexer und schwieriger zu erlernen ist, als die des Tori, des Nage. Das Schema des Verlierens und des Gewinnens wird den Rollen überhaupt nicht gerecht.

Im dynamischen Training ist es gut möglich, dass die Situation während einer Bewegung mehrmals wechslt und die Definition keineswegs klar ist. In den Übungen ist es schon so, dass der Uke in der defensiven Definition, wo die Verteidigung im Vordergrund steht, den Initialangriff ausführt. In diesem Fall wird der Verteidiger zum Tori. Sein Geschick, Timing und seine Stabilitätim Umwandeln des Angriffs entscheidet aber, ob er auch Tori bleibt. Er übernimmt bildlich in seiner rolle die Führungsaufgabe. Überreizt er mit seiner Energie, oder greift unvermittelt mit starkem Atemi an, kann es natürlich sein, dass die Rollen wechseln. Gerade Uke mit starkem intuitivem Potenzial verhalten sich, wenn ihre initiale Angriffsenergie absorbiert wird, resurektiv und stabilisieren sich schnell mit weiteren Angriffsenergie. Da braucht es vom Tori gute Führungskraft und subtile Kontrolle. Schiesst der tori dann aber übers Ziel hinaus oder wird gar selbstgefällig in seiner Rolle, oder schwach, wird er zum Uke. Interessant und energetisch sehr befriedigend ist das Verschmelzen der beiden Energien "Ki musubi". Das, wenn die Energien sich nicht im  dualistischen Sinne konträr verhalten, sondern eben fusionieren und so zu einem beiderseitig positiven Erlebnis führen. So bekommt die Führungsaufgabe vom Tori eine neue Sichtweise und Verantwortung. 

Gleichzeitig lernt der Uke sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und behält so seine Integrität. Das relativiert das Gewinner/Verlierer-Schema. Zu erwähnen ist auch, dass bei den meisten Kampfkünsten in der offensiven Definition der Tori den Initialangriff lanciert und in unserem Sinne der Uke wäre.

Ich mag es, in Beziehungen zur Uke-Rolle von Higabe zu reden. Was das heisst ist nicht so einfach zu interpretieren. Es beinhaltet eine Hingabe zur Sache, eine konsequente, gesamtheitliche Hinwendung zum Tori. Diese Haltung generiert viel Energie und ist, wenn nicht willentlich und einseitig auf Zerstörung konzentriert, nicht verletzend aber stark. Dies wiederum verlangt vom Tori verantwortungsvolles Handeln und Führen. Einseitig gewalttätig ausgerichtete Energie würde sich gegen ihn wennden oder die Verletzungsgefahr erhöhen. Ist das gegenseitige Kompensationsvermögen genügend ausgebildet, ist liebevolle Hilfestellung immer möglich und das Produkt der Begegnung letzlich für beide Teile positiv. Das Verbinden von beiden Wörtern Uke und Tori "uketoru" würde dann eben auch "bekommen" heissen.
So gehen alle zufrieden nach Hause.

 

P.S. Mittlerweile finde ich beide Rollen gleichermassen anspruchsvoll.