Kann man, wenn man Aikido praktiziert verhindern, dass man an seiner Persönlichkeit arbeitet.

 

In den Zivilisationen des Altertums, von denen sich im Fernen Osten lebendige Zeugnisse erhalten haben, münden die traditionellen Künste - "Wushu" oder "Bojutsu" - in den Weg, auf dem der Mensch in einer langen und schwierigen Lehrzeit tiefe Erfahrungen mi tder Wahrheit und mit sich selbst machen kann. Nach und nach entdeckt der Lernende, die Lernende die Gesetze der feinstofflichen Kräfte, aus denen das Leben gewoben ist. Wir lernen, dass die Qualität unserer Werke von der Entfaltung unserer eigenen Qualität abhängt - von dem, was wir sind.
 
Wenn man "Bujutsu" nur einfach mit Kriegskunst übersetzt, unterschlägt man einiges vom ursprünglichen Geist des Schriftzeichens. Es setzt sich zusammen aus zwei Elementen: aufhalten, bzw. anhalten und Lanze. In dem Ausdruck "die Lanze aufzuhalten" liegt die wesentliche Bedeutung von Kampfkunst. Und dies umso mehr, als sich die Formulierung zugleich interpretieren lässt als "die Kunst, die Lanze des Gegners aufzuhalten" und als "die Kunst, die eigene Lanze aufzuhalten".
 
Was heisst aber Kampf? Für die Meister sind die wirklichen Hindernisse, denen der Schüler begegnet, in seiner künstlichen Persönlichkeit begründet. Normalerweise ist der Mensch in einem Kokon körperlicher und mentaler Gewohnheit verstrickt, seine Sicht der Welt durch Illusionen verzerrt. Er lebt derart abgetrennt von seinem tiefsten Wesen, dass er dessen Möglichkeiten nicht auszuschöpfen vermag. Die Arbeit, die es zu verrichten gilt, besteht also darin, die Blockaden - körperlicher und psychischer Art - aufzubrechen, damit sich die schlummernden Fähigkeiten frei entfalten können. Das Budo, der Weg des Kampfes, hat, wie jeder authentische Weg, die Wiederherstellung der wahren Persönlichkeit zum Ziel. Aber diese Verwirklichung des Selbst kann nur in einem erbarmungslosen Kampf gegen die eigenen Fehler, Schwächen und Illusionen gelingen. Will man die inneren Hindernisse überwinden, muss man die Geduld aufbringen, die eigenen Fehler unnachgiebig anzugehen und sich ihnen entgegenzustellen. In die gefährlichen Fallen Hochmut, Feigheit, Ungeduld - allesamt von Illusionen genährt - sind schon viele getappt. Der Pfad ist gewunden, lang und schwierig. Sich nicht entmutigen zu lassen und durchzuhalten ist, trotz allem, trotz seiner selbst, einer der Schlüssel zum richtigen Wert.
 
Warum ich in diesen Briefen immer wieder gerne die grösseren Zusammenhänge, die Philosophie, den geistigen Aspekt beiziehe? Natürlich nährt die Attraktion von der geisten Grundhaltung der östlichen Philosophien unsere Phantasie und unser Besreben Aikido überhaupt auszuüben. Zwischendurch verlieren wir die Übersicht über die grösseren Zusammenhänge und die Motivation weiterzumachen. Dabei muss man nicht mehr, wie einfach weitermachen. Wasm man immer wieder leicht übersieht oder vergbisst ist, dass alle Künste immer wieder auf die jahrelange Lehrzeit hinweisen. Alleine durch dieses "jahrelang" sind Dinge in uns am Arbeiten, die sich nicht spektakulär auf unseren Alltag oder unser Prestige auswirken. "Nach und nach entdecken die Lernenden die Gesetze der feinstofflichen Kräfte, aus denen das Leben gewoben ist". Aber jetzt vergessen wir die geistigen Höhenflüge und machen uns wieder an die Arbeit. Mit Freuden gerne.
 
 
 
Auszüge, Zitate und Bemerkungen aus dem Buch "Die Kunst zu siegen, ohne zu kämpfen" Dietrichs